Die Hamas. Herrschaft über Gaza. Krieg gegen Israel

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Ist das Massaker, das die Hamas am 7. Oktober 2023 verübte, vergleichbar mit 9/11? Wer ist die Hamas? Welche Ziele verfolgt sie? Wie ist sie aufgestellt, um diese zu erreichen? Wer unterstützt diese islamistische Organisation in Gaza?

Joseph Croitoru ist Historiker und Journalist. Er beschreibt den Aufstieg der Hamas in Gaza seit 2007. Er widmet sich sowohl der Geschichte als auch der inneren Beschaffenheit dieser Organisation, die streng hierarchisch aufgebaut ist. Grundlage der Herrschaftsordnung sind Koran, Sunna und die Scharia. Vieles mutet an, als befände man sich im ehemaligen Kalifat des IS in Raqqa. Und doch ist die Hamas ein Spross der ägyptischen Muslimbrüderschaft, 1928 gegründet von Ḥasan al-Bannā. Heute agieren die Muslimbrüder global, wovon die Hamas profitiert, weil sie in deren internationale Unterstützernetzwerke eingebunden ist.

Das Massaker der Hamas vom 7. Oktober 2023 hat die Welt in eine Schockstarre versetzt.

Ein Hamas Kämpfer startet einen Angriff auf den Kibbutz Alumim im Süden Israels am 7. Oktober 2023.

Das Massaker vom 7. Oktober: Was ist geschehen?

Die ʿIzz ad-Dīn al-Qassām Brigaden und weitere jihadistische Kampfverbände (Palestinian Islamic Jihad und Sarāyā al-Quds) griffen Israel am 7. Oktober 2023 an mehreren Orten gleichzeitig an: Ca.2.500 bewaffnete Islamisten überfielen 21 Kibbuzim und 7 Moschawim (Genossenschaftsdörfer) sowie die Städte Sderot und Ofakim. Sie folterten und töteten dort jeden, den sie antrafen oder nahmen Geiseln.

Die Auswahl der Ziele deutete darauf hin, dass es nicht nur eine rein militärische Operation war, sondern auch ein gezielter terroristischer Angriff gegen die Zivilbevölkerung.“

joseph croitoru

Die Bestialität und Brutalität der Hamas, begangen an Zivilisten, Kindern, Frauen und Betagten, ist beispiellos. Es wundert daher, dass in der öffentlichen Diskussion in Deutschland und weltweit die Hamas als „Widerstandsbewegung“ gesehen wird und diese Grausamkeiten damit indirekt legitimiert werden. Dies gilt auch für das Massaker an den Teilnehmern des Nova Musik Festival: Die Terroristen erschossen wahllos alle, die sie sahen.

An allen unterschiedlichen Orten sind bei dem Massaker insgesamt 1.200 Menschen niedergemetzelt worden. Das Massaker vom 7. Oktober ist das Projekt der Hamas-Führung in Gaza: Yaḥyā as-Sinwār und Muḥammad aḍ-Ḍaif, dem obersten Führer der al-Qassam Brigaden. Die politische Führung der Hamas hat ihren Sitz in Qatar und in der Türkei. Fünf palästinensische Politiker stellen die Führung, darunter Ismāʿīl Haniyya und Mūsā Abū Marzūq, Mitglied des Politbüros der Hamas.

Wer ist die Hamas?

Joseph Croitoru schildert in den Kapiteln 15-17 ausführlich die aktuellen Ereignisse in Gaza und den Krieg mit Israel, er ordnet diesen ein und beschließt sein Buch mit einem kurzen Ausblick.

In den Kapiteln 1-14 widmet er sich unterschiedlichen Aspekten der Entstehung der Hamas. Zunächst wurde sie als zivile Organisation mit karitativen Zwecken von Aḥmad Yāsīn gegründet und geführt. Dabei radikalisierte Scheich Yāsīn die Hamas immer mehr, insbesondere angesichts des Erfolgs der Fatah bzw. der PLO unter Yasir Arafat. Paradoxerweise war dessen internationaler Erfolg, der im Friedensabkommen von Oslo kulminierte, der Hamas ein Dorn im Auge. Die islamistische Hamas stellte sich gegen die eher säkulare PLO Arafats, sie stellte sich aber vor allem gegen Kompromisse mit Israel. Im Ergebnis radikalisierte sie sich und gründete die ʿIzz ad-Dīn al-Qassām Brigaden.

Israel reagiert

Israel antwortete mit groß angelegten Luftangriffen auf Gebäude und Tunnel in Gaza, in denen sich die Hamas Kämpfer verschanzt hatten oder vermutet wurden. Da die Zahl der zivilen Opfer auf der palästinensichen Seite hoch waren, steht Israel in massiver Kritik. Ismāʿīl Haniyya bedauerte in einer Rede die Toten zwar, meinte jedoch, man brauche das Blut von Frauen und Kindern, um die Welt laufend an die palästinensische Sache zu erinnern. Möglicherweise ist diese Politik auch ein Grund, warum die seit 2007 in Gaza regierende Hamas keinerlei Vorkehrungen für die schutzbedürftige Bevölkerung ergriffen hat, z.B. Bunker oder Tunnel. Chālid Maschʿal lehnte explizit die Verantwortung für Tote und Verletzte bei der Zivilbevölkerung ab.

Damit besteht das Dilemma darin, dass sich hier zwei feindselige Gruppierungen gegenüberstehen und Israel diesen internen Konflikt ausspielt. Diese gegenseitigen Machtinteressen der palästinensichen Führer nimmt mit jeder Intifada zu, der ersten ab 1987 und der zweiten im Jahre 2000. Divide et impera. Im Nachhinein war es ein großer Fehler, die palästinensichen Streitigkeiten auszuspielen, zugunsten der Hamas. So wurde aus dem Ungetüm ein Monster. Die Hamas nämlich spielte das Spiel Israels nur formal mit, de facto nutzte sie jeden Spielraum, um sich aufzurüsten und ihr Tunnelsystem auszubauen, um Israel noch besser vernichten zu können.

Somit gilt das Massaker vom 7. Oktober als der erste großangelegte Versuch der Hamas ihr Ziel, Israel zu vernichten, zu erreichen. Das Massaker vom 7. Oktober 2023 ist im Ergebnis eine fatale Selbstüberschätzung aller Stakeholder: der Israelis, die die Warnungen überhört haben bzw. glaubten, die Hamas im Griff zu haben, der Hamas und der Muslimbrüder, die glaubten, mit diesem brutalen Coup Israel besiegen zu können, denn natürlich hatte die Hamas erwartet, dass die befreundeten arabischen Staaten in den Krieg einsteigen würden. Sie hatten niemals gedacht, dass sie den verlustreichen Krieg in Gaza allein ausfechten würden müssen. Nicht zuletzt hat auch der Iran verloren, denn dessen Politik, andere für die Durchsetzung seiner politischen Agenda kämpfen und sterben zu lassen, wird an seine Grenzen stoßen.

Fazit

Joseph Croitoru gelingt es auf 200 Seiten ein umfassendes Bild der Hamas zu zeichnen. Sein sachlicher Schreibstil macht die Lektüre angenehm. Herausragend in Bezug auf die knappe und prägnante Beschreibung der Charta und der Entwicklung der Hamas, insbesondere die innere Verfasstheit dieser Organisation, ist das Kapitel 3: „Scheich Yassins Muslimbrüder gründen die Islamische Widerstandsbewegung Hamas“. Es gelingt Croitoru besonders gut aufzuzeigen, wie bewußt die Hamas ihre islamistische Ausrichtung dazu nutzte, sich als Gegenspieler der säkularen PLO von Yasir Arafat zu profilieren. Nach innen hat sie so ihre Macht religiös bzw. ideologisch zementiert.

Kritik

Croitoru stützt sich auf unterschiedliche Quellen, sehr häufig und der Aktualität angemessen, auf Social Media, TV , auf al-jazeera u.a. Damit ist er in der Aktualität gut dokumentiert und er ist sehr belesen auf den verschiedensten Kanälen.

Was etwas fehlt sind Verweise oder Einarbeitungen der einschlägigen islamwissenschaftlichen Fachlitertur der letzten Jahre zu diesem Thema. Beispielsweise wäre ein Hinweis auf den Einfluß des in Qatar predigenden Muslimbruder Yūsuf al-Qaradāwī wertvoll. Er hat die religiöse Legitimation für die Hamas gegeben, indem er eine Fatwa herausgegeben hat. In dieser Fatwa, einem religiösen Rechtsgutachten, hat er die Selbstmordanschläge gegen Juden, auch auf Zivilisten legitimiert. Damit war er nicht nur in dieser Frage für die Hamas von unschätzbarem Wert, seine Bekanntheit in der arabischen Welt verhalf ihnen zusätzlich Respekt und Geltung zu bekommen. Diese Fragen behandelt z.B. Guido Steinberg zur Muslimbrüderschaft und Hamas.

Für wen empfehlenswert?

Wer sich einen schnellen und doch umfassenden Überblick über die Hamas und Israel und den derzeitigen Krieg verschaffen will, der findet in diesem Buch das Wesentliche. Jospeph Croitoru versteht es mit hoher Sachkenntnis den Konflikt seit 1948 nachzuzeichnen. Dabei gelingt es ihm, immer wieder Bezüge zur aktuellen Lage herzustellen und zu erklären. Sein Stil ist sachlich und gut lesbar.

Weiterlesen

  • Joseph Croitoru. Hamas. Auf dem Weg zum palästinensischen Gottesstaat. dtv München 2010
  • Joseph Croitoru. Der Märtyrer als Waffe. Die historischen Wurzeln des Selbstmordattentats. Carl Hanser Verlag, München 2003
  • https://www.jihadica.com/hamas-and-the-jihadis/
  • Ron Leshem. Feuer. Israel und der 7. Oktober. Rowohlt Verlag, Berlin 2024
  • Eugen Rogan. Der Untergang des Osmanischen Reichs. wbg, Darmstadt 2021
  • Udo Steinberg. Tradition und Erneuerung im Ringen um die Zukunft. Kohlhammer, Stuttgart 2021

Weiterschauen

https://www.arte.tv/de/videos/117538-000-A/hamas-die-erschaffung-eines-monsters

Hotels als Lebensorte – Menschen im Hotel

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Menschen leben in der Zeitenwende zum III. Reich im Hotel. Ihr Leben ist im Umbruch, im Wartestand oder sogar in Auflösung begriffen. Diese Menschen verbindet nichts außer diesem Raum, in dem sie agieren. Allerdings teilen sie sich die Erkenntnis, so einsam wie gemeinsam, dass sich in der Weimarer Republik der soziale und politische Raum verändern wird. Er wird für sie nichts Gutes vorhalten. Liebevoll erzählt Vicki Baum die Schicksale und Lebensgeschichten unterschiedlichster Menschen, die eines vereint: Sie leben an einem Ort, dem Hotel, dem einzigen Ort, den sie noch haben. Der Ort ist ihr Programm.

Maélys Vaillant, Literaturwissenschaftlerin, analysiert diesen Ort „Hotel“ als Kategorie für ihre Analyse der Heterotopien, die bestimmend für die Romane Vicki Baums sind. Ihr gelingt eine Einführung in die Repräsentation von Räumen und deren Geschichte in der deutschsprachigen Exilliteratur.

Rezension

Vaillant untersucht in ihrer Studie drei der bekanntesten Hotelromane der jüdischen Schriftstellerin Vicki Baum:

  • Menschen im Hotel (1929) zählt zu den erfolgreichsten Romanen der Weimarer Republik. Die Hollywood-Verfilmung Grand Hotel (1932) mit Greta Garbo und Jean Barrymore machte Vicki Baum schlagartig weltberühmt. Der Film ist heute ein historisches Dokument jener Zeit, eng am Text des Romans gestaltet. Lebensgeschichten, ungewöhnlich und oft tragisch, deren Raum nur das Hotel sein kann, denn die Gesellschaft in der Weimarer Republik würde sie alle ausschließen. Wir erzählen eine Geschichte als Beispiel: die Geschichte der alternden schönen russischen Primaballerina Gruschinskaja.
  • Hotel Berlin (1943) setzt Menschen im Hotel fort, jedoch bestimmt der Weltkrieg der Nationalsozialisten die Handlungen der Figuren. Der nahende Untergang ist überall spürbar. Das Hotel Berlin, das einstige Juwel, zeigt überall Verfall und Dekadenz. Düsternis und Melancholie umschließen den Raum. Das Hotel als Ort hat auch eine neue Funktion hinzugewonnen: Es ist zum Gefängnis geworden für manche politischen Häftlinge, die die Gestapo nicht in Lager schicken oder eliminieren will. Daher greift Vaillant im Rahmen ihrer theoretischen Begriffe zur Analyse des Hotels als Ort der Gefangenschaft. Eine andere Variation der Analyse ist die „Abweichungsheterotopie“, wenn das Hotel auch als Ort des Exils genutzt wird, als Ort des Übergangs vom einen Ort zu einem anderen, um der Verfolgung im III. Reich zu entkommen. Die Ironie besteht nun darin, dass im Hotel Menschen leben, die politisch verfolgt sind, die einen wie im Gefängnis, die anderen noch frei und die Gestapo mitten unter ihnen.
  • Hotel Shanghai (1939) thematisiert das Leben im Hotel, wenn die Flüchtenden bereits im Ausland leben, in Shanghai, in China. Der Krieg ist jedoch ebenfalls in Shanghai, die Auswirkungen des chinesisch-japanischen Krieges wirken auch hier. In einem Weltkrieg gibt es keine Sicherheit, kein Ort, kein Hotel ist geschützt vor tödlichen Angriffen. So wird letztlich auch das Hotel Shanghai und seine Bewohner am Ende von einer Rakete getroffen. Vicki Baum zeichnet im Hotel Shanghai die Handelnden sehr detailliert, beschreibt ihre Biografien ausführlich, lange bevor sie im Hotel Shanghai Zuflucht suchen und Quartier nehmen. Die Verflechtungen, die sich daraus ergeben, dass so unterschiedliche Persönlichkeiten aufeinandertreffen, sind spannend und interessant. Sie sind in einem „Plauderton“ geschrieben, der die Lektüre sehr angenehm macht.

Beispiel einer Analyse

Nehmen wir zur Demonstration der Heterotopie die Figur der Tänzerin und ehemaligen Primaballerina Grusinskaja aus dem Roman Menschen im Hotel, in der Hollywood-Verfilmung gespielt von Greta Garbo.

Die Primaballerina Grusinskaja hat große Zeiten erlebt, sie hat auf berühmten internationalen Bühnen Begeisterungsstürme ausgelöst, in Paris wie in St. Petersburg. Diese Bühnen waren ihre Welt. Nun ist ihre Kunst wie sie selbst in die Jahre gekommen. Ihre Zeit ist so gut wie vorbei, sie füllt keine großen Säale mehr, die Verehrer werden rar. Sie mutiert zur einer Heimatlosen, das Hotel als Ort wird ihr zur neuen, eher unfreiwilligen Bleibe. Die Vereinsamung nimmt ihrer Anmut den Reiz und ihrer Schönheit den Glanz. Das Hotel wird zu ihrem sozialen Überlebensmodul in einer immer morbideren Welt, in der sie alles gegeben hat. Jedoch ändern die neuen politischen und kulturellen Entwicklungen in der Weimarer Republik auch den gesellschaftlich-kulturellen Raum, die andere Heterotopie, in der sie sich als Tänzerin bewegt: das Theater. Verkürzt gesagt vertreibt der Gesellschaftstanz Charlston das Ballett. So ist sie nicht nur eine alternde Diva, sondern ihre Kunst selbst stirbt aus. Sie ist die Verliererin der sozialen Umwälzungen. Das Hotel als Heterotopie ist der einzige Ort, an dem sie noch weiterhin ihre Lebensrolle spielen kann.

Fazit

Die Studie Vaillants liest sich leicht und flüssig, selbst der Rekurs auf Michel Foucaults Theorien zur Heterotopie erscheinen nicht schwerfällig. Vaillant versteht es, die theoretischen Grundlagen durch die Geschichten der Figuren in den genannten Romanen so aufzulockern, dass ein Lesefluss entsteht. Ein Mittel dazu sind viele Textauszüge, die das Gesagte erläutern.

Empfehlenswert für Liebhaber von Romanen, deren Figuren in einer politischen Zeitenwende um ihr Überleben kämpfen. Sie sind fiktiv und doch real ihrer Zeit zugeordnet. Vor dem heutigen Hintergrund politischer Umwälzungen und Zeitenwenden wieder eine aktuelle Lektüre.

Infoblock

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