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Asiem El-Difraoui, anerkannter Experte zu Fragen des Dschihadismus, wählt das metaphorische Bild der Hydra, um Gestalt, Struktur und Ausbreitung des Dschihadismus in den letzten 20 Jahren zu beschreiben: Vielköpfig, nachwachsend, tödlich! El-Difraoui gelingt eine tiefgehende Analyse der verschiedenen Facetten des Dschihadismus aus unterschiedlichen Perspektiven im zeitlichem Abstand. Das Besondere an der Abhandlung ist, dass El-Difraoui seine Analysen in eigene Reportagen, Interviews und Reiseeindrücke eingebettet hat. Sie zeigen wie vielschichtig die dschihadistische Bewegung geworden ist. Gleichzeitig ist er einer der wenigen Autoren zu diesem Thema, der Wege zur Bekämpfung des Dschihadismus aufzeigt und sich mit Fragen der De-Radikalisierung beschäftigt. Der Text ist oft erzählerisch, er liest sich flüssig und zeichnet ein umfassendes, wenngleich wenig homogenes Bild des Dschihadismus. Eine Lektüre, die sich lohnt.
In Die Hydra des Dschihadismus geht der Autor Asiem al-Difraoui der Frage nach, wie dschihadistische Bewegungen, insbesondere in ihrer globalen Form, entstanden sind. Er analysiert, welche Strukturen, Mechanismen, Dynamiken und Facetten sie haben und vor allem, warum sie sich so lange am Leben halten konnten.
Inhalt
El-Difraoui beginnt mit einer detaillierten Betrachtung der Ursprünge des modernen Dschihadismus, der sich aus einer Mischung von politischen, religiösen und sozialen Faktoren speist. El-Difraoui versteht die Bewegung mit ihren Heilsversprechungen als Sekte, die ihre islamischen Ursprünge verzerre und missbrauche. Besonders interessant ist seine Untersuchung der politischen Umstände und der internationalen Einflüsse, die zur Entstehung von Bewegungen wie Al-Qaida und später des Islamischen Staates (IS) geführt haben. Er argumentiert, dass der Dschihadismus nicht nur als isoliertes Phänomen zu verstehen ist, sondern als eine Antwort auf eine Vielzahl geopolitischer, sozialer und wirtschaftlicher Krisen – von den Konflikten im Nahen Osten bis hin zu westlicher Intervention und der Zunahme von Ungleichheiten und Diskriminierungen in vielen muslimischen Gesellschaften. Die Zerstörungen durch westliche Interventionen, wie z.B. 2003 im Irak, hält er für kausal für die Entstehung extremistischer (Gegen)Bewegungen.
Die Rolle der Social Media
El-Difraoui behandelt auch die Bedeutung von Social Media und digitalen Plattformen für die Rekrutierung neuer Anhänger und für die Verbreitung von Propaganda. Insbesondere die Kommunikationsbüros des IS haben gezeigt, dass der Dschihadismus sich in den letzten Jahren zunehmend von traditionellen militärischen und politischen Strukturen gelöst hat, und die digitalen Räume nutzt, um junge Menschen anzusprechen und zu mobilisieren. Gerade die digitalen Medien sind ein schwieriges Terrain: Wird eine gewaltbereite dschihadistische Webseite geschlossen, öffnet am nächsten Tag ein neuer Account, der sich mit den islamistischen oder dschihadistischen Netzwerken langsam wieder vereint. Dasselbe gilt, wenn eine Zelle oder ein Anführer eliminiert werden, auch sie werden durch neue Akteure in neuen Formen wieder reorganisiert. Dieser Aspekt des Buches ist besonders aufschlussreich. Es bietet wertvolle Einblicke in die modernen Methoden des Extremismus.
Internationale Strategien gegen globalen Dschihad
In seiner Analyse stellt El-Difraoui nicht nur die Bedrohung durch dschihadistische Bewegungen heraus, sondern auch die Schwierigkeiten der internationalen Gemeinschaft, eine nachhaltige und effektive Strategie zu entwickeln. Die Lösung dieses Problems erfordert mehr als militärische Interventionen. El-Difraoui fordert einen multidimensionalen Ansatz. Er sollte Prävention, Bildung, politische Lösungen und die Bekämpfung der zugrunde liegenden ideologischen Ursachen umfassen. Nur durch eine langfristige und koordinierte Anstrengung sei es möglich, den Dschihadismus zu entmachten und zu bekämpfen. Die Argumentation ist fundiert und El-Difraoui berücksichtigt die geopolitischen Realitäten.
Koloniale Vergangenheit und jüngere Kriege
Er nennt hier auch die Zerstörungen durch die Kriege und Interventionen der USA in MENA-Staaten. Sie sind ein wichtiger Ursprung für die Vulnerabilität der dortigen Jugend, die sich radikalisiert. Sie gerät somit viel leichter in die Fänge von immer professionelleren Rekrutierern. Daher müssten sich westliche Staaten selbstkritischer ihrer kolonialen Vergangenheit stellen. Auch die neueren Kriege gegen den Terror haben hier Spuren hinterlassen. Sie alle hätten bis heute destabilisierende Wirkung. Sie hätten die alten Strukturen zwar zerschlagen, jedoch hätten neue tragende Gesellschaften nicht wieder aufgebaut werden können. Soziale Gerechtigkeit und wirtschaftliche Perspektiven fehlten oft gänzlich. So gerieten nach Sinn suchende Junge Menschen in die Hände radikaler Verführer.
Fazit:
„Die Hydra des Dschihadismus“ ist eine tiefgründige und zugleich zugängliche Analyse. Es gelingt Asiem al-Difraoui, ein komplexes Thema in verständlicher Weise darzustellen. Das Buch ist sowohl für politisch Interessierte als auch für Fachleute, die sich mit Terrorismusforschung und internationalen Beziehungen befassen, von großer Bedeutung. Die Text arbeitet die globalen Dimensionen des Dschihadismus und die daraus resultierenden geopolitischen Spannungen heraus und macht sie verständlich. Dies geschieht deshalb, weil die politische Analyse mit einer breiten historischen Perspektive kombiniert wird. Dadurch kann der Leser sowohl die Ursprünge als auch die aktuellen Entwicklungen des Dschihadismus verstehen.
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Appetizer
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