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Salman Rushdie überlebte die Messerattacke vom August 2022 nur knapp. Indessen fragt man sich, was einem Menschen durch den Kopfgeht in jenen Sekunden, in denen ein Islamist tiefe, kräftige Stöße in Auge, Kiefer, Bauch und Arme rammt? Tätsächlich lässt uns Salman Rushdie daran teilhaben, indem er das macht, was er am Besten kann: Er schreibt. Unbeschadet dessen, dass sein Leben tagelang auf der Kippe stand, schreibt er detailliert und mit dem ihm eigenen Humor über seine Operationen, die Schmerzen, das Krankenhaus und die Rehabilitation, aber auch über das Auge, das er verloren hat. Unwiederbringlich. Dabei gelingt ihm eine sehr persönlicher Text, der berührt.
Knife beschreibt die Angst zu sterben, allein ohne Ansprache, mit anderen Worten die Momente völliger Einsamkeit mit Schmerzen und mehreren Operationen. Gleichzeitig geben Rushdies Reflexionen über das Leben auch Hoffnung: Denn, was bleibt vom Leben? Was ist denn das Wichtigste im Leben, nach so einem Schicksalsschlag? Wie hoch ist er, der Preis der Freiheit des Wortes?
Was ist passiert?
„Cities of refugees“ ist eine Initiative amerikanischer Intellektueller. Sie besteht darin, sichere Schreib- und Lebensorte für Autorinnen und Autoren zu schaffen, deren Ausdrucksfreiheit bedroht ist. Salman Rushdie war eingeladen zu einem Interview über die Freiheit des Schriftstellers. Der Ort war Chautauqua im Bundesstaat New York, am 12. August 2022. Die Attacke kam indes unvermittelt: Ein junger Amerikaner mit libanesisch-schiitischem Hintergrund stach auf ihn ein. Welche Ironie, dass der Täter den Zufluchtsort zum Tatort machte!
Dann sah ich aus dem rechten Augenwinkel – das Letzte, was mein rechtes Auge je sehen würde – aus der rechten Seite des Sitzbereichs einen Mann in Schwarz auf mich zurennen. Schwarze Kleidung, schwarze Maske. Er kams o schnell und geduckt auf mich zu wie ein gedrungenes Geschoss. Ich erhob mich und sah ihn näher kommen. Ich habe nicht versucht fortzulaufen. Ich war wie erstarrt.
Was ist eine fatwa und was hat Khomeini damit zu tun?
Ahmad Salman Rushdie war ein noch wenig bekannter Schriftsteller, als er 1988 sein Buch Die satanischen Verse veröffentlichte. Für Rushdie eine literarische Allegorie, für Ayatollah Khomeini allerdings eine Beleidigung des Propheten Muhammad somit Blasphemie. Deshalb belegte er Salman Rushdie mit einer globalen Fatwa: Autor, Verleger und Übersetzer waren plötzlich vogelfrei. Jeder Muslim konnte sie töten. Rushdie lebte ab diesem Zeitpunkt unter Polizeischutz unter strengster Einschränkung seiner persönlichen Freiheiten. 33 Jahre lang ist nichts geschehen. Nachdem Rushdie wieder geheiratet hat, entschieden sich seine Frau Rachel Elisa Griffiths und er ohne Polizeischutz zu leben.
Diese Fatwa von Khomeini hatte es auch islampolitisch in sich, denn es war das erste Mal überhaupt, dass ein Islamgelehrter eine fatwa aussprach, deren Geltungsbereich global war. Bisher galten solche Rechtsverdikte immer nur im Herrschaftsgebiet des jeweiligen Gelehrten. Rushide lebte damals in Großbritannien, der Anschlag auf ihn wurde in den USA ausgeübt. In der Geschichte des Islamismus ist die wohl ein Vorgeschmack auf sich noch verstärkende islamistisch-globalistische Tendenzen im politischen Islam der Folgejahre.
Ayatollah Khomeinis Ankunft in Teheran am 1. Februar 1979
Die Kapitel
Rushdie hat mit einem Schreibakt den Kampf zurück ins Leben gewonnen. Er hat eingesetzt, was er am Besten kann: Schreiben und schreibend meditieren. Bereits die Überschriften der beiden großen Kapitel geben Hinweise über den Verlauf seines Lebens nach dem Attentat:
Das erste Kapitel „Der Engel des Todes“ handelt vom Messerangriff, beschreibt den Moment der Tat. Es beeindruckt vor allem, die Erzählung vor dem Attentat: das Leben mit seiner Frau, die er im Alter noch kennenlernen durfte, das Glück mit ihr, die Begehung des Ortes, wo am nächsten Tag das Interview stattfinden sollte sowie das freundschaftliche Abendessen im Kreise lieber Kollegen. Und dann DAS!
Das zweite Kapitel „Engel des Lebens“ beschreibt die Rückkehr ins Leben, die Resilienz, die Rushdie entwickelt, denn er will leben. Er sieht, wie er in seiner großen Altersliebe und in seinen Kindern sowie langjährigen Gefährten die Kraft findet, sich neu zu erfinden. Ein Mann schaut zurück und sieht die Zukunft. Eine kurze Sequenz wird dem Täter A. gewidmet, den er sonst nicht erwähnt. Dies folgt dem Prinzip, dem Täter keinen Raum zu geben, die es ihm erlaubte, seine Ziele und Aktivitäten zu promoten.
Fazit
Salman Rushdie ist ein Paradebeispiel menschlicher Resilienz. Er „er“findet sich zurück in ein neues Leben, das ihm wie ein Geschenk erscheint. Seine Meditationen werden so zu einem beeindruckend schonungslosen Manifest darüber, dass Gewalt nie siegt. KNIFE ist Teil eines größeren Diskurses über die Freiheit des Schreibens und die Gefahren, denen Schriftsteller in verschiedenen Teilen der Welt ausgesetzt sind. Rushdies eigene Erfahrungen, einschließlich der Kontroversen um sein früheres Werk „Die satanischen Verse“, haben ihn zu einer symbolischen Figur im Kampf um die Meinungsfreiheit gemacht. Für seine Lebensleistung erhielt er 2023 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
Weiterschauen
Salman Rusgdue and Freedom of Speech (Interview)
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